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Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ)

 


Schon vor den Russlandfeldzügen Hitlers und Napoleons hat ein europäischer Herrscher, der über die beste Armee seiner Zeit gebot, versucht, das rückständige Reich zu erobern, und scheiterte dabei katastrophal: der junge Schwedenkönig Karl XlI. (1682 bis 1718), der als militärisch hochbegabter Führer einer Großmacht jahrelang unbesiegt blieb, bis Peter der Große, der sich als Karls Schüler verstand, ihn vor dreihundert Jahren bei Poltawa vernichtend schlug.

Der MatrixMedia Verlag in Göttingen brachte jetzt ein kompaktes, die einschlägige Literatur inspiriert aufarbeitendes Buch des 33 Jahre alten Benjamin Richter heraus, das unter dem Titel "Verbrannte Erde" das historische Duell und seine Folgen lebendig macht. Wie seine zwei legendären Nachfolger im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert erkannte auch Karl nicht den unzivilisierten Raum als eigentlichen Kriegsgegner. Er ließ sich von seinem Widersacher, der das entscheidende Gefecht hinauszögerte und immer weiter zurückwich, in die Tiefen des Landes hineinziehen, wo Peter zuvor Siedlungen, Brücken, Brunnen rücksichtslos vernichtet hatte.

Gegen die von Endlosmärschen, Versorgungsmängeln und nutzlosen Scharmützeln dezimierte Schwedenarmee, deren königlicher Oberbefehlshaber ausgerechnet an seinem 27. Geburtstag eine lebensbedrohliche Schussverletzung erlitt, erfochten die inzwischen diszipliniert und taktisch operierenden Russen dann einen Sieg, der Peter selbst überraschte.

Richter erzählt die Geschichte, die für Schweden das Ende und für Russland den Beginn des Auftritts auf der weltpolitischen Bühne markierte, auch als Kampf zweier Charaktere. Karl, der sich nach seinen Triumphen im Nordischen Krieg zu einem skandinavischen Alexander berufen fühlte, imponierte durch seine spartanische Lebensweise, lebte jedoch monoman für seine Eroberungsträume und wurde nie recht erwachsen. Im Gegensatz zu der facettenreichen Persönlichkeit des russischen Reformers, der alles kennenlernen und selbst ausprobieren musste, militärisches wie ziviles Handwerk, Frauen Wissenschaft und Trinkgelage. Als er die Russen 1700 bei Narwa besiegt hatte, begann Karl den Gegner zu verachten. Peter versuchte umso eifriger, von "Bruder Karl" zu lernen.

Der pointierte Text beleuchtet nebenbei die Geschichte des Kriegshandwerks. Er erinnert daran, dass die Infanterie, die im Mittelalter noch wilden Haufen glich erst seit der. Renaissance durch Drill, Uniformen, Marschmusik diszipliniert wurde und zur "Königin des Schlachtfelds" aufstieg, Und dass adlige Offiziere oft für ausländische Fürsten tätig waren, was Richter mit dem Nomadisieren heutiger Fußballstars vergleicht. Peter, der beim Siegesbankett in Poltawa einen Toast auf seine schwedischen Lehrmeister ausbrachte, modernisierte Russland auch nach schwedischem Vorbild und bewahrte für seinen Antipoden eine sportliche Anhänglichkeit. Als er 1718 die Nachricht von "Bruder Karls" Tod erhielt, weinte der Zar bitterlich und ließ seinen Hof eine Woche lang trauern.

 


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