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Braunschweiger Zeitung

Lehrstoff, der nicht in Geschichtsbüchern steht


Autobiographischer Roman über Kriegsgefangenschaft
Mit bewegter Stimme, nach Worten ringend sitzt Heinz Leo Marhenke am Rednerpult. Auch nach 50 Jahren fällt es dem 82-Jährigen aus Celle sichtlich schwer, die Bilder seiner Kriegsvergangenheit - Tod, Hunger, Hoffnungslosigkeit - ins Gedächtnis zurückzurufen. In "Marsch durchs Fegefeuer", so der Titel seines autobiographischen Romans, schildert Marhenke seine Erlebnisse in russischer Kriegsgefangenschaft. Der Autor stellte das Werk in der Buchhandlung Graff in Brauschweig vor. Marhenke wahrt Distanz. Auch wenn es seine ureigenen Gefühle sind: Er schreibt aus der Perspektive eines anderen, des jungen Handwerkers Martinek, der nach kurzer Ausbildung zum Ingenieur als Soldat nach Russland abkommandiert wird. Die meiste Zeit in einer technischen Einheit, lernt er bereits als Soldat der Wehrmacht freiwillig Russisch. Von 1941 bis 1945 nimmt er am Russlandfeldzug teil. Als der Krieg schon fast vorbei ist, im April 1945, fällt er in die Hände der Russen. Bis 1949 führt er den Überlebens- und Existenzkampf in verschiedenen Kriegsgefangenenlagern weiter. Aufgrund seiner Sprachkenntnisse hat Martinek die seltene Möglichkeit, "den Feind" kennen und verstehen zu lernen. Marhenke zeichnet ein durchaus positives Bild der russischen Soldaten. Trotz seiner Gefangenschaft verurteilt er das russische Volk nicht, vielmehr versucht er, den Aspekt der Menschlichkeit hervorzuheben. So erzählt er, wie er aufgrund eines verstauchten Knöchels in einer russischen Familie lebt und es dort viele Annährungsbestrebungen auf beiden Seiten gibt. "Erschreckend positiv", so beschreibt er die gegenseitige Wahrnehmung und skizziert den allmählichen Wandel vom Gegner zum Mitmenschen, wie er ihn in seiner vierjährigen Gefangenenzeit erlebt hat. Der Autor dokumentiert, wie erschreckend der Wandel von Menschen in existenzieller Not sein kann. Doch die Schuld gibt er nicht dem Individuum, sondern politischen Systemen und deren Vollstreckern. "Die Kardinalfrage müssen wir uns immer wieder stellen: Wie ist es möglich, dass Menschen sich in Kriegszeiten gegenseitig so unglaubliches Leid zufügen können?" Mit seinem Roman will Marhenke Vergangenes nachvollziehbar machen. "Wenn man meine Geschichten richtig liest, kann man viel daraus lernen - vielleicht mehr als aus Geschichtsbuchern." Marhenke gibt zu, dass er zu lange an Adolf Hitler geglaubt habe. "Ich wurde als Nationalsozialist erzogen." Erst 1945 habe seine persönliche Besinnung begonnen, die ihn schließlich nach der vierjährigen Gefangenschaft zum überzeugten Demokraten gemacht habe.

 


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