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Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ)

 


Vergessene Frauen der Welfen
Langweilig wurde der alten Dame eigentlich nie. Oft sah man die rüstige Greisin im Trainingsanzug durch Braunschweig joggen, und zwar bei jedem Wetter. Da war sie sehr preußisch. Sie ging auch schon mal auf eine Demo, um (vergeblich) gegen den Abriss des Residenzschlosses zu protestieren. Dabei war Victoria Luise (1892-1980) eine waschechte Kaisertochter. Ihre Hochzeit mit dem Welfen Ernst August hatte 1913 noch einmal Europas Hochadel in Berlin zu einem rauschenden Fest zusammengeführt, wenige Monate vor dem Ersten Weltkrieg, der Europas Hochadel von der Bühne der Geschichte fegen sollte. Die bewegende Vita Victoria Luises ist eine von zwölf Kurzbiografien, die Elisabeth Kwan und Anna Eunika Röhrig für den Band "Vergessene Frauen der Welfen" verfasst haben. Es geht uns um Frauen, die von der Forschung bisher stiefmütterlich behandelt oder von späteren Generationen vergessen wurden", sagen die Braunschweiger Stadtführerin und die Bibliothekarin an der Hildesheimer Dombibliothek.Vor zwei Jahren hatten sie mit "Frauen vom Hof der Welfen" Erfolg, nun ist ihnen erneut ein Buch gelungen, das Spaß macht. Bei den unterhaltsamen Streifzügen durch viereinhalb Jahrhunderte niedersächsischer Historie wiegt für Kwan und Röhrig die Lust auf Anekdotischen im Zweifel schwerer als die Freude an Fußnoten. Das Buch ist eine Mischung aus Adelslexikon und "Gala" für die gebildeten Stände; 195 Seiten voller Geschichte, Glamour und Skandale. Doch selten geht die Unterhaltsamkeit zulasten der Seriosität. Allerdings sind längst nicht alle vorgestellten Welfenfrauen vergessen. Hannovers letzte Königin Marie (1818-1907) etwa ist dank der nach ihr benannten Burg vielen ein Begriff, und Kaisertochter Victoria Luise gehörte bei Hannovers Schützenausmärschen als leutselig winkende Seniorin gewissermaßen zum Inventar. Das schmälert nicht den Erkenntnisgewinn der Lektüre: Ob Mätresse oder Königin - in der Geschichte der Welfen waren die Frauen oft glanzvoller, klüger und charakterfester als ihre (dafür ungleich berühmteren) Männer. In dieser Hinsicht sind die Welfen wohl eine ganz gewöhnliche Familie.

DIE EMANZIPIERTE
Als Dorothea von Dänemark (1546-1617), Tochter des dänischen Königs, 1561 heiratete, ließ der Gemahl es in Celle richtig krachen: Zwei Tonnen Hirschwildbret wurden aufgefahren, 214 Rehe und vier Bottiche mit eingelegten Vögeln. Leider verfiel Herzog Wilhelm dem Wahnsinn, er randalierte fast nackt auf dem Marktplatz, schlug um sich und starb schließlich mit 57 Jahren ren. "Die oft drastischen Methoden der damaligen Heilkunde dürften sein Ableben um einiges beschleunigt haben", schreibt Elisabeth Kwan. Fortan musste Dorothea in einer von Männern dominierten Welt für sich selbst sorgen. Und es erging ihr nicht anders als vielen Vorreiterinnen der Emanzipation - sie galt als zickig. Zeitgenossen schilderten sie als "een bitter bös Wief".

DIE GEBILDETE
Sie galt trotz eines (aber wirklich auch nur ganz, ganz leichten) Hangs zum Übergewicht als Schönheit. Sophie Charlotte (1668-1705), Welfenprinzessin aus Herrenhausen, wurde erste preußische Königin: Sie heiratete Prinz Friedrich, der nach einer schweren Kindheit allerdings zeitlebens an Minderwertigkeitskomplexen litt und bei ihren geistigen Höhenflügen auch nie richtig mithalten konnte. Die Vertraute von Leibniz komponierte und musizierte und pflegte im heute nach ihr benannten Charlottenburg einen glanzvollen Musenhof. Auf dem Sterbebett sprach sie mit 36 Jahren den grandiosen Satz: "Jetzt gehe ich meine Neugier befriedigen über die Urgründe jener Dinge, die mir Leibniz nie hat erklären können."

DIE VERFEMTE
Ihre Biografie hätte Hedwig Courths-Mahler erfinden können. Caroline von Linsingen (1768-1815), Generalstochter aus Hannover, lernte mit 21 Jahren im mondänen Bad Pyrmont den jungen Herzog von Clarence kennen. Dieser galt als Rauhbein, das schon mal "gewisse Häuser" aufsuchte, doch beide verliebten sich und heirateten 1790 . heimlich. Allerdings versuchte der Prinz vergeblich, nachträglich die Zustimmung seiner Eltern zu der Ehe zu bekommen. Als Caroline einen Sohn gebar, ließ man sie in dem Glauben, der Junge sei tot. Eine jüdische Familie in Göttingen zog "Joseph Meyer" als Adoptivkind groß. Erst 1805 erfuhr der Fürstensohn von seiner wahren Herkunft, er nannte sich fortan Hans Georg von Meyer und brachte es in Hannovers Armee bis zum Generalleutnant. Als später der König starb, sollen die Bürger auf den Straßen nach "König Meyer!" gerufen haben. Carolines Gatte hingegen fand sein Glück in den Armen einer Schauspielerin, die ihm zehn Kinder schenkte. In ihrem Kummer brach Caroline zusammen. Als Scheintote wurde sie im Sarg aufgebahrt. Ein Hildesheimer Arzt verhinderte die Beerdigung - und aus Dankbarkeit heiratete sie, obgleich schon verehelicht, ihren Retter. Dieser war im Umgang mit Geld weniger erfahren als im Umgang mit Wein und Karten. Er nahm diverse Posten an, unter anderem als Stärkefabrikant in Mähren. Auf dem Friedhof im tschechischen Blansko findet sich heute noch das Grab der Frau, die fast Königin geworden wäre. Denn ihr erster Gatte kam nach einer Reihe unverhoffter Todesfälle 1830 als Wilhelm IV. auf Englands Thron. Caroline wird in seinen Biografien gerne verschwiegen.

 


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